Internationales Recht: Die Verwendung der in Belgien eingefrorenen russischen Vermögen für die Ukraine-Hilfe ist rechtskonform
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- 5. Dez.
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Aktualisiert: vor 7 Tagen
Gastbeitrag erschienen am 4. Dezember 2025 in der belgischen Tageszeitung Le Soir, unter dem Titel " Utiliser les avoirs russes gelés en Belgique pour aider l’Ukraine est conforme au droit international "
Wie die Ukraine-Hilfe finanzieren? 140 Nobelpreisträger beantworteten im März 2024 diese Frage. Sie schlugen den Regierungen der Länder, die russische Vermögenswerte eingefroren haben, die Freigabe derselben vor, also “diese Mittel für den Wiederaufbau der Ukraine und für die Entschädigung der ukrainischen Kriegsopfer freizugeben, damit das Land nach einem Friedensschluss rasch wiederaufgebaut werden kann.” In diese Richtung geht der Vorschlag der Europäischen Kommission, der Ukraine ein Reparationsdarlehen von 140 Milliarden Euro zu gewähren, das mit den seit 2022 eingefrorenen Geldern der russischen Zentralbank besichert ist. Prinzipiell könnte Russland diese Gelder nach einem Friedensschluss und der Zahlung von Reparationen an die Ukraine zurückbekommen. Das Reparationsdarlehen wäre somit befristet und reversibel.
Dies lehnte der belgische Premierminister De Wever am 3. Oktober 2025 im Europäischen Rat ab. Belgien gehört zu den am meisten betroffenen Ländern: Die belgische Clearinggesellschaft Euroclear hält mit 193 Milliarden Euro einen großen Teil der in Europa immobilisierten russischen Gelder. De Wever bezweifelte die Rechtmäßigkeit einer solchen Maßnahme und führte internationales Recht und einen zwischen Belgien und Russland abgeschlossenen bilateralen Vertrag an. Außerdem führte er als Grund seiner Verweigerung an, dass die Risiken der Entscheidung nicht von Belgien allein getragen werden könnten.
Seine Einwände hätten am 24. November durch die Äußerungen der Präsidentin der Europäischen Kommission im Europäischen Parlament entkräftet sein müssen, denn der Vorschlag, der am 18. und 19. Dezember dem Europäischen Rat vorgelegt werden wird, stütze sich auf solide juristische Grundlagen, und sie fügte hinzu: “Ein Szenario, in dem die europäischen SteuerzahlerInnen alleine die Rechnung bezahlen würden, sehe ich nicht.” De Wever beharrte dennoch auf seiner Weigerung und führte ein neues Argument an: Der Vorschlag der Kommission könnte die Ausarbeitung eines “Friedens-Deals” beeinträchtigen.
Es ist daher angebracht, die Grundlagen seiner Argumente zu überprüfen, zumal sich die öffentlichen Debatten weitestgehend auf seine Version und die von Euroclear stützen.
Zahlreiche JuristInnen haben seit langem bestätigt, dass eine solche Maßnahme dem internationalen Recht entspricht. Russland ist für sein Verbrechen der Aggression von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verurteilt worden. Im Völkergewohnheitsrecht ist die “Staatsverantwortung für völkerrechtswidrige Handlungen” kodifiziert. Der Vorschlag stützt sich auf diese von der Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen ausgearbeiteten Kodifizierung, die das Recht der Staaten anerkennt, im Falle einer völkerrechtswidrigen Handlung Gegenmaßnahmen zu ergreifen.
Die Forderung des Premierministers nach einer Vergemeinschaftung der Risiken ist verständlich. Es wäre weder gerecht noch vertretbar, müsste Belgien allein eventuelle finanzielle Folgen einer europäischen Entscheidung tragen. Die Präsidentin der EU-Kommission bekräftigte bei der Präsentation des Vorschlages am 3. Dezember, dass praktisch allen Bedenken Belgiens mit sehr soliden Garantien Rechnung getragen worden sei: “Eines ist sicher: Wir werden die Last auf faire Weise teilen, wie es der europäischen Tradition entspricht.” Darüber hinaus könnten europäische Länder, die nicht Mitglied der EU sind, zur Absicherung der Risiken beitragen.
Eines der Hauptargumente gegen den Vorschlag lautet, die Zentralbanken und die Anleger verlören das Vertrauen in Euroclear, in Belgien, in die Europäische Union und in die Euro-Zone. Dieses Argument verdient Differenzierung. Die geplanten Maßnahmen zielen nicht auf gewöhnliche Vermögenswerte ab, sondern auf einen Staat, der, so die Generalversammlung der Vereinten Nationen, des Verbrechens der Aggression schuldig ist. Solche “völkerrechtswidrige Handlungen” sind, zum Glück, äußerst selten. Die Gegenmaßnahmen sind die Antwort darauf. Sie zielen nicht auf eine Generalisierung ab. Zwei Ratingagenturen haben in ihren Stellungnahmen dargelegt, dass die Entscheidung keine Auswirkung auf die Kreditwürdigkeit der europäischen Staaten habe.
Man kann sich die Frage stellen, ob nicht die öffentliche Betonung der Furcht vor einem Vertrauensverlust genau diese nährt. In einem solchen Kontext ein Reputationsrisiko anzuführen kommt dem Ansinnen gleich, das Bankvermögen von Drogenhändlern oder Geldwäschern aus Sorge, eine solche Handlung könnte andere KundInnen wegen der Sicherheit ihrer Gelder beunruhigen, nicht mehr anzutasten. Dabei trifft doch das exakte Gegenteil zu: Die Reputation eines Finanzsystems beruht auf der Fähigkeit der Unterscheidung zwischen legalen und illegalen Vermögenswerten und der Handhabe letzterer der Rechtslage gemäß.
Das neue Argument, die Entscheidung der Europäischen Union gefährde einen “Friedens-Deal”, wirft ganz andere Fragen auf, sieht doch der amerikanische Plan schlicht und einfach die Freigabe der eingefrorenen russischen Gelder vor, als würde eine solche Entscheidung den beiden Protagonisten des Deals obliegen und als könnte Russland von jeglichen Verpflichtungen zur Reparation befreit werden. Ein solches Konzept liefe im Wesentlichen darauf hinaus, statt Russland den westlichen SteuerzahlerInnen die Kosten des Wiederaufbaus aufzubürden.
Darüber hinaus besteht, wie MilitärexpertInnen betonen, kein Grund zur Annahme, dass Russland diesen Krieg gewinnen wird. Die Position Europas von einem solch ungewissen Szenario abhängig zu machen käme einer unnötigen Schwächung eines wichtigen Instruments zur Druckausübung gleich und würde dazu führen, einem elementaren Prinzip des internationalen Rechts den Rücken zuzuwenden: Dass ein Aggressorstaat nicht darauf hoffen kann, Frieden zu seinen Bedingungen zu machen, ohne Reparationszahlungen für die Opfer.
Der Text des Kommissions-Vorschlages ist noch nicht bekannt, aber es ist an der Zeit, kontroverse Debatten über streng gefasste juristische Auslegungen in Gang zu setzen. Sobald die Rechtmäßigkeit des Vorschlags laut internationalem Recht etabliert und die Vergemeinschaftung der Risiken festgeschrieben ist, werden viele andere Gründe zur Sorge verblassen. Bedauerlich wäre es, büßte Belgien durch seine Ablehnung der europäischen Entscheidung seine Glaubwürdigkeit als Unterstützer der Ukraine ein.
Signataires
Francis Biesmans - Ökonom und Statistiker, emeritierter Professor an der Universität Lothringen
Samuel Cogolati, Doktor der internationalen Rechtswissenschaften und ehemaliger Co-Vorsitzender von Ecolo (Belgien).
Paul de Grauwe, Professor, John Paulson-Lehrstuhl für Europäische Politische Ökonomie, London School of Economics and Political Science
Pierre Klein, Professor, Zentrum für internationales Recht, ULB.
André Lange, Ehemaliger Dozent an der Universität Lüttich und der ULB, ehemaliger Abteilungsleiter einer internationalen Organisation, Mitglied des Verwaltungsrats des Vereins „Für die Ukraine, für ihre Freiheit und unsere!“
Gérard Roland, ehemals E. Morris Cox Professor für Wirtschaftswissenschaften und Professor für Politikwissenschaften an der UC Berkeley und der Freien Universität Brüssel
Übersetzung: Sonja Pleßl, Zwischenwelt International, Publizistin und Übersetzerin






